Der Februar 2023 war Black History Month und wer uns in den sozialen Netzwerken folgt wird bemerkt haben, dass wir in diesem Monat vermehrt Menschen vorgestellt haben, deren Geschichten sonst zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Black History Month, ein Monat Schwarze[1] Geschichte – was soll das eigentlich heißen?
Der Black History Month wurde im Jahr 1926 von Carter Godwin Woodson, einem US-amerikanischen Historiker, ins Leben gerufen und wird seither jeden Februar in vielen Ländern der Welt begangen – seit den 1990er Jahren auch in Deutschland. Dabei erfüllt dieser Monat unterschiedliche Funktionen: Schwarze Geschichte herauszustellen und gesondert zu würdigen ist nicht unumstritten, auch in Schwarzen Communities, denn Schwarze Geschichte ist unser aller Geschichte und kein getrennter Teil, doch in der dominanten Geschichtsschreibung sind Schwarze Akteur*innen stark unterrepräsentiert oder lange vollständig ignoriert worden.
Carter Godwin Woodson führte diesen Monat ein, um auf die marginalisierte Position Schwarzer Geschichte aufmerksam zu machen. Zudem war und ist der Monat auch eine Möglichkeit den weißen[2] Blick auf die Geschichte zu brechen indem Schwarze Menschen selbst ihre Perspektiven in die Öffentlichkeit tragen. So dient der Monat ebenfalls seit Jahrzenten als Zeitraum in dem Schwarze Menschen zusammenkommen, Strategien erarbeiten, ihre Identitäten erkunden und sich als Individuen und in ihrer Gemeinschaft stärken können.
Der Monat ist häufig von Veranstaltungen begleitet, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Zum einen gibt es einen bildenden Fokus, der aufklären, aufzeigen und erforschen möchte was durch koloniale und rassistische Verhältnisse in unserer Gesellschaft lange nicht sichtbar war. Zum anderen gibt es den empowernden Aspekt, den Schwarze und BIPoCs[3] nutzen, um Communities zu stärken und Individuen, die durch die Dominanz der Mehrheitsgesellschaft Ausgrenzung erfahren, sichere Räume zu bieten. Auch in den Wissenschaften wird immer mehr beachtet, dass die herrschende Auffassung von Geschichte eine ist, die aus einer weißen Perspektive geschriebene und entsprechend verkürzt und verzerrt ist.
Wie viel haben Sie über Schwarze Geschichte gelernt, wenn Sie auf ihren Geschichtsunterricht in der Schule zurückblicken?
Häufig endet die Schulbildung hier bei groben Daten über die Kolonialzeit und einigen Erzählungen über die Sklaverei und amerikanischem Bürgerkrieg.
Aber ist Sklaverei Schwarze Geschichte? Sicher auch, denn Kolonialismus und die Verschleppung unzähliger Schwarzer Menschen hat die Geschichte dieser Menschen und ihrer Nachkommen unwiederbringlich beeinflusst – die von weißen Menschen jedoch auch.
Die weißen Europäer*innen, ob in Europa, oder auf dem amerikanischen Kontinent, die ihre „Zivilisation“ durch die Profite aus Menschenhandel und Sklaverei errichten konnten, profitieren heute noch von den Privilegien, die durch die Versklavung und Unterdrückung der kolonisierten Menschen bitter erwirtschaftet wurden. Diese Privilegien und die Unterdrückung sind heute weniger sichtbar und weniger bei einzelnen Individuen lokalisiert. Eines dieser Privilegien ist die dominante Position in der Geschichtsschreibung, also dass vornehmlich weiße Menschen die Geschichte aus einer weißen Perspektive erzählen können. Dabei werden dann, im Dienste eines kollektiven weißen Selbstbildes, bestimmte Sachen ausgelassen, Menschen nicht genannt oder unterrepräsentiert. Das passiert heute, zumindest in den meisten Fällen, nicht bewusst oder aus bösem Willen, sondern weil wir alle in einen historischen Zusammenhang geboren wurden, indem wir es nicht anders gelernt haben.
Der Black History Month soll darauf aufmerksam machen und in kleinen Schritten hin zu einer Gesellschaft führen, die weniger durch Anti-Schwarzen Rassismus geprägt ist als die unsere.
Anti-Schwarzer-Rassismus wird in Deutschland oft als Problem der USA gesehen und die deutsche Rolle bei der Kolonisierung des Afrikanischen Kontinents wir häufig klein geredet.
„Da die afrodeutsche Geschichte in den Schulbüchern fehlt, musste ich sie mir Stück für Stück selbst erarbeiten…“[4] schreibt zum Beispiel Ciani-Sophia Hoeder, eine afrodeutsche Journalistin und betont: „Rassismus besteht eben nicht nur aus Springerstiefeln und Nazi-Parolen; Rassismus zeigt sich auch darin, dass die Geschichte der Afrodeutschen totgeschwiegen wird.“[5]
In kolonisierten Ländern, wie beispielsweise in Kamerun, errichteten die deutschen Besetzer Schulen, in denen sie den Einwohner*innen deutsch beibrachten. Quane a Dibobe besuchte eine solche Schule und migrierte 1896 nach Berlin, mit der Hoffnung auf Bildung und Arbeit. Während der ersten Kolonialausstellung in Berlin wurde er sechs Monate lang in erniedrigender Kleidung ausgestellt um Besucher*innen eine kolonialistisch-phantasiertes Bild Kameruns zu vermitteln. Zu „Völkerschauen“ und in Zoos wurden bis in die 1950er Jahre Menschen in vermeintlich authentischen Umgebungen zur Schau gestellt – auch das gehört zum kolonialen Erbe Deutschlands. Quane a Dibobe erlebte diese Erniedrigung sechs Monate lang und konnte trotzdem später als Zugführer bei der Berliner Hochbahn arbeiten. In der Weimarer Republik engagierte er sich politisch und brachte 1919, gemeinsam mit 17 weiteren Schwarzen Menschen, die in Deutschland lebten, eine Petition in die Weimarer Nationalversammlung ein. In der Dibobe-Petition fordern sie unter anderem die Gleichberechtigung Schwarzer Menschen in Deutschland und eine Gleichstellung der Kolonien mit der Weimarer Republik. Für sein Engagement wurde er als Zugführer entlassen und verließ Deutschland in den 1920er Jahren.
Während der Kolonisierung des afrikanischen Kontinents migrierten im 19. Jahrhundert Menschen aus unterschiedlichsten Gründen vom afrikanischen Kontinent nach Deutschland. So kam Momolu Massaquoi, als General Konsul von Liberia, nach Deutschland und zeugte dort Fasia Jansen, die später eine bekannte Stimme der afrodeutschen Bewegung wurde und als Liedermacherin für Gerechtigkeit sang. Ihren Neffen, Hans-Jürgen Massaqoui, lernte sie nie kennen, obwohl sie in Hamburg aufwuchsen. Hans-Jürgen Massaqoui war der Enkel des Generalkonsuls und engagierte sich als Schriftsteller. Er schenkt uns in seinen Büchern einen Einblick in seine Kindheit, die er als Schwarzes Kind während der Zeit des Nationalsozialismus in Hamburg verbrachte.
Wer über afrodeutsche Geschichte spricht, kommt um einige Akteur*innen nicht herum. Beispielhaft möchten wir hier May Ayim nennen, die mit ihren zeitgenössischen Mitstreiter*innen in den 1980er Jahren den Begriff „afrodeutsch“ prägte. Afrodeutsch wurde so die erste Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen in Deutschland.
Sie entstammt einer, stark von queer-feministischen Kämpfen beeinflussten Bewegung, die sich in den 1980er Jahren um eine Gruppe Aktivist*innen, Student*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen formte und die stark von der amerikanischen Black Power Bewegung beeinflusst war.
Audre Lorde, die Feministin und Bürgerrechtsaktivistin aus den USA, förderte bei ihren langen Aufenthalten in Berlin den Schub in der Entwicklung des afrodeutschen Selbstverständnisses.
Heute gibt es viele Quellen wie Filme, Bücher und Magazine, die die reiche Geschichten Schwarzer Menschen erzählen und mit denen sich auch alle nicht-Schwarzen Menschen bilden können.
Schwarze Geschichte ist deutsche Geschichte, theoretisch. Praktisch gesehen wird ohne gezieltes eingreifen weiterhin weiße Dominanz in der Geschichtsschreibung reproduziert. Daher sind Monate wie der Black History Month eine gute Gelegenheit, um sich zu informieren, zu bilden und umzulernen.
Dabei dient der Februar nur als Erinnerung, als Impuls, denn natürlich muss Schwarze Geschichte auch über den Monat hinaus sichtbarer werden!
[1] Schwarz schreibe ich groß, da es als politisch-emanzipative Selbstbezeichnung von Menschen mit afrodiasporischen Hintergrund verstanden werden soll. Schwarz und weiß beziehen sich dabei nicht auf die Hautfarbe, sondern verstehen diese als konstruiertes Merkmal, welches unterschiedliche Positionierungen in einem Machtverhältnis legitimieren soll.
[2] weiß wird hingegen kursiv geschrieben um auch hier auf die Konstruktion zu durchbrechen und auf das zu verweisen, was weiß wirklich bedeutet, nicht Hautfarbe, sondern Machtposition im Verhältnis zu allen, die als nicht-weiß markiert sind.
[3] BIPOC ist eine weitere politisch, analytisch geprägte Selbstbezeichnung aus marginalisierten und rassifizierten Communities. Es steht für Black, Indigenous and People of Colour und schließt alle Menschen mit ein, die sich als nicht-weiß begreifen, oder von außen als nicht-weiß markiert werden.
[4] https://sz-magazin.sueddeutsche.de/willkommen-bei-mir/geschichte-afrodeutsch-88967
[5] Ebd.